Die historische Nikarete

Nikarete betrieb im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. ein Edelbordell in Korinth, einer Stadt, die in der Antike für ihre florierende Prostitutionswirtschaft berühmt war. Davon zeugt das in der Literatur überlieferte Verb 'korinthiazein', das in etwa mit „(herum)huren“ übersetzt werden kann.
Die Kundschaft gehörte größtenteils zur besseren Gesellschaft der Zeit. Oft kam sie auch von außerhalb Korinths, da die Stadt dank ihrer günstigen Lage am Isthmus ein Handelszentrum war. Als Kunden sind namentlich Politiker, Sportler, Philosophen und Dichter bekannt, darunter der Dichter Xenokleides und der Schauspieler Hipparchos.

Nikarete kaufte auf dem Sklavenmarkt von Korinth junge Mädchen, um diese als Prostituierte für sich arbeiten zu lassen. Sehr wahrscheinlich wurden diese Mädchen auch schon vor deren Pubertät "eingesetzt".
Einige dieser Mädchen gab Nikarete als ihre Töchter aus und sorgte für deren „Ausbildung“ zur Hetäre. Durch das vorgegebene Verwandtschaftsverhältnis waren wohl höhere Preise für die Dienstleistungen der Mädchen erzielbar, da freie Frauen üblicherweise begehrter waren.
Die bekannteste Hetäre Nikaretes war Neaira, die sie als ungefähr 10jähriges Mädchen  ca. 390 v. Chr. kaufte und als leibliche Töchter ausgab.
Neben Neaira lebten im Bordell Nikaretes noch sechs weitere namentlich bekannte Mädchen unterschiedlichen Alters: Metaneira, Anteia, Stratola, Aristokleia, Phila und Isthmias. Wahrscheinlich waren sie alle zu ihrer Zeit sehr prominent. Nach Anteia wurden seinerzeit mehrere Dramen benannt, und der Dichter Philetairos erwähnt in seinem Stück 'Die Jägerin' sogar drei von Nikaretes Mädchen (Neaira, Phila und Isthmias).

Verbindungen zu Hetären waren keineswegs nur einmalige, schnelle Vergnügen, sondern konnten längerfristige Beziehungen sein:

Metaneira war bekannt für ihre Schönheit und ihre Gewitztheit. Zu ihren Geliebten gehörte auch Isokrates. Ein anderer prominenter Gast im Bordell Nikaretes und Stammkunde bei Metaneira war der Redner Lysias. Da sein Geld nur Nikarete zugute kam und er auch seiner Geliebten einen Gefallen erweisen wollte, finanzierte er dieser Mitte der 380er Jahre eine Reise nach Eleusis bei Athen, wo sie auf seine Kosten in den dortigen Mysterienkult eingeführt wurde.
Bei dieser Reise nach Athen wurden beide nicht nur von Nikarete, sondern auch von Neaira begleitet. Es war mutmasslich Neairas erster Aufenthalt in der attischen Metropole.
Simos aus Thessalien reiste 378 in der Begleitung von Nikarete und Neaira, dessen Stammkunde er war, ebenfalls nach Eleusis, dieses Mal zu den Panathenäen. Simos aus Thessalien gehörte der bedeutenden thessalischen Familie der Aleuadei an und war Mitte des 4. Jahrhunderts eine Berühmtheit in Griechenland, wenn auch über seinen Status zur Zeit der Reise heute nichts mehr Genaues gesagt werden kann.

Die finanziell ergiebigste Zeit für Prostituierte waren die Lebensjahre zwischen der Pubertät und dem beginnenden dritten Lebensjahrzehnt, danach begann deren Attraktivität für interessierte Kunden zu sinken. Somit kam es Nikarete wohl nicht ungelegen, als Timanoridas aus Korinth und Eukrates aus Leukas wahrscheinlich kurz nach der Reise nach Athen im Jahr 376 Neaira kauften. Sie gehörten wohl zu Neairas Stammkunden und waren der Meinung, dass es für beide auf Dauer preisgünstiger war, wenn sie sich gleich die ganze Frau kauften, auch wenn sich erwies, dass die Transaktion beide noch einmal einen stattlichen Betrag kosten sollte.

Nikarete forderte nicht weniger als 3.000 Drachmen (das Zehnfache des Preises, den ein gelernter Handwerkssklave erzielte, und das fünf- bis sechsfache Jahreseinkommen eines Arbeiters). Der Preis einer normalen Sexsklavin waren je nach Angebot zwischen 12 und 20 Rindern. Der Höchstpreis, den Flötenmädchen für ihre Dienste verlangen konnten, war gesetzlich geregelt und betrug zwei Drachmen. Eine Drachme entsprach dem damaligen Tageslohn eines Steinmetzen oder um 500 v. Chr. einer großen bemalten Vase. Obwohl beide damit an ihre finanziellen Grenzen gingen, wurde das Geschäft getätigt. Nun hatte Neaira zwei neue Besitzer, die mit ihr nach Belieben umgehen konnten. Diese Praxis war nichts Ungewöhnliches und ist mehrfach in antiken Quellen bezeugt. Anders als bei anderen ähnlichen Arrangements kam es in diesem Falle jedoch zu keinem Streit zwischen beiden Besitzern.

Es gibt die Vermutung, dass Nikarete möglicherweise keine reale Person war, sondern eine aus mehreren Personen (Neaira bzw. Nikarete aus Megara) entwickelte Kunstfigur oder schlicht ein Interpretations- oder Überlieferungsfehler.

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